Bevor ich nach Essen kam, las ich ein Zitat von Donoso Cortez:
"Es gibt in der Schöpfung nur ein einziges Wesen, das den Scharfsinn
der Kontemplativen und die Bosheit der Schlauen in sich vereinigt: den
Scharfsinn der Kontemplativen, weil auch es weiß, daß Gott existiert, und die
Bosheit der Schlauen, weil es, wie diese, gegen ihn kämpft. Dieses Wesen das
ist der Teufel."
Als ich diese Reflexion von Cortez las, schien sie mir, angewandt auf
das heutige Europa, verteufelt richtig. Anscheinend weiß der Satan sehr wohl,
daß nur die ins Himmelreich eingehen, die den Kindern gleichen. Und
wahrscheinlich ist das der Grund, warum er sich auf die Kinder, und ganz
besonders auf die Kinder Europas, stürzt. Ihnen zu Hilfe zu eilen, ist nicht
eine Frage der Moral, sondern eine Frage von Leben und Tod. Ein Volk, das seine
Kinder tötet, tötet seine Seele. Sogar die Statistiker sind gezwungen, das
anzuerkennen.
Kann man unbeachtet lassen, daß die Bundesrepublik Deutschland
jährlich 200 000 Bürger verliert? Die Neokonformisten, die Modehumanisten,
nennen das den Preis des Überflusses, und damit rücken sie in die Nähe
Napoleons, der eines Tages zu sagen wagte: "Ich habe 100 000 Menschen als
Kapital zur Verfügung (de rente)". Von allen Sätzen, die er ausgesprochen
hat, ist dies vielleicht derjenige, der am meisten schaudern macht.
Doch sind unsere Neohumanisten noch schlimmer als Napoleon. Sie
sprechen nicht einmal mehr von ihrem Nutzungswert (de rente). Es ist das
einzige Kapital Europas, das sie zerstören, ihr eigenes Fleisch und Blut, ihre
eigene Seele, ihre Kinder.
Wie ist es nur möglich, daß ein solches Fieber einen ganzen
Kontinent ergreift? Ich meine, das ist nur durch einen Irrtum möglich, durch
einen absoluten Irrtum. Der ist so enorm, daß man ihn schließlich gar nicht
bemerkt. Unsere Neokonformisten geben vor, der Mensch sei von der Gesellschaft
gemacht, sie sei es, die ihm seine Intelligenz gibt. Folglich habe sie das
Recht, durch ihre Gesetze über ihn zu verfügen. Sie glauben und behaupten,
die Intelligenz, diese fürstliche Eigenschaft des Menschen, sei nur die Frucht
einer sozialen Aktivität. Von daher erwachse ihnen das selbstverständliche
Recht, diejenigen abzulehnen, die die Intelligenz noch nicht manifestieren: die
Kinder im Mutterleib, oder auch jene, die sie niemals manifestieren werden, die
Pechvögel der Vererbung, die Ungeliebten, die Mißgestalteten, oder auch
solche, die die Intelligenz fast nicht mehr manifestieren, die Greise, die vor
ihrem Ende von der Schwäche Erdrückten. Und diese Kolporteure des Todes rufen
gleichzeitig die Mörder der Morgenröte wie der Abenddämmerung hervor. In
Namen der Intelligenz vernichten sie diejenigen, die sie besitzen oder besessen
haben. Dank ihrer stupiden "Intelligenz", wie, vermute ich, Codez gesagt
hätte, haben sie sich durch den Schwachsinn der Schlauen gegen die
Menschenkinder verbündet, oder vielleicht besser gesagt gegen den
Menschensohn.
Dennoch - alles wissen, das sich seit Tausenden von Jahren angesammelt
hat - lehrt uns das Gegenteil ihrer Ausgangshypothese. Die menschliche
Intelligenz und alle Wissenschaft sind nicht Produkte der Gesellschaft oder der
Zivilisation, nicht einmal der Evolution im automatischen Sinn des Wortes: Die
Intelligenz der Menschen existiert, weil sie so geschaffen worden ist. Und weil
sie ihnen ganz umsonst gegeben ist.
Ich möchte versuchen, Ihnen das zu zeigen und wähle dazu das
abstrakte und am wenigsten diskutierte Beispiel der menschlichen Intelligenz,
das Gebiet der Mathematik, genauer gesagt der Geometrie.
In allen Handbüchern wird berichten - und wir haben keinen Grund
daran zu zweifeln -, daß die Geometrie eines Tages an den Ufern des Nils unter
dem Himmel Ägyptens geboren wurde. Man sagt uns, daß die Fellachen die Metrik
erfunden haben, um ihr Land zu vermessen. Das ist schließlich nicht ganz
unwahrscheinlich, wenn man bedenkt, daß sich, bevor man den riesigen Damm von
Assuan gebaut hat, alljährlich eine Überschwemmung über die Nilebene
ergossen hat, die nach dem Rückgang des Wassers eine vollständige Ebene
zurückließ. was war dann natürlicher, als einige Pyramiden dorthin zu
setzen? Auf diese Weise, so sagt man, ist die Geometrie zu den Menschen
gekommen.
Erlauben Sie mir aber, daß ich das bezweifle, und daß ich Ihnen die
Geschichte anders erzähle. Nicht daß ich Ihnen versichern könnte, es habe
sich so zugetragen, wie ich es Ihnen sagen werde, aber, wie Edmond About
bemerkte, die wahrsten Geschichten sind nicht immer die, die sich ereignet
haben! Hier ist also die wahrste Geschichte:
Liebende, wie Sie vielleicht schon bemerkt haben, verbringen viele
Stunden damit, sich in die Augen zu schauen - Stunden, die immer noch zu kurz
sind. Und dies ist so wahr, daß alle Sprachen der Welt diese kleine runde
Öffnung, durch die wir die Welt betrachten - die Pupille - auf dieselbe weise
benennen. Ob auf deutsch, französisch, englisch, alles kommt vom lateinischen
pupilla, was kleines Mädchen heißt. Die Griechen sagen Choré, was ebenfalls
kleines Mädchen heißt. Die Spanier sagen: la nina del ojo, das kleine
Mädchen des Auges. Die Araber sagen: Insam el Ein, was heißen soll: kleines
menschliches Wesen im Auge. Die Iraner sagen: Mardomak, was dasselbe bedeutet.
Die Singalesen sagen: Ahé Baba, das ist das gleiche. Und vietnamesisch sagt
man: Ngoi', auch dasselbe; ebenso im Japanischen: Hito-Mi, Mädchen im
Auge.
Es ist kein Zufall, daß es eine solche Gleichheit in allen
menschlichen Sprachen gibt. Der Grund dafür ist sehr einfach: Aus der Nähe
sehen Sie auf dem konvexen Spiegel des Auges ein ganz kleines Bild, das Ihr
eigenes Bild ist. Es ist umso glänzender, je dunkler der Grund der Pupille
ist. Die Liebe sieht ein Kind in dem Auge des geliebten Menschen.
Ich wäre nicht überrascht, wenn diese interessante optische
Eigentümlichkeit der sphärischen Oberfläche zuallererst von den Frauen
entdeckt worden wäre, denn alle oder fast alle Sprachen sagen: "Das kleine
Mädchen des Auges." (Nicht: der kleine Knabe!)
Doch bleiben wir bei der Entdeckung der Geometrie. Hierfür müssen
wir ein Postulat setzen. Eines Tages fängt ein Liebender an, erfüllt mit
mathematischem Geist, zu kontemplieren. Das kommt vor; das hat sich vielleicht
wirklich unter dem ägyptischen Himmel abgespielt (ich habe keinen Grund, den
Scharfsinn der alten Ägypter anzuzweifeln). Und während er dieses Auge,
dessen Pupille sich unter dem hellen Licht der Sonne Ägyptens verkleinerte,
betrachtet, bemerkte er auf einmal, daß er sich der vollkommensten Oberfläche
der Welt gegenüber befand, der einzigen, die die Eigentümlichkeit der
geometrischen Ebene darstellt. Tatsächlich ist das Auge aus der Kreuzung von
zwei Kugeln gebildet: einer Kugel mit einem kleinen Radius - das ist die
Hornhaut - und einer Kugel mit einem viel größeren Radius, dem Augapfel. Die
Kreuzung dieser beiden Kugeln ist ein Kreis. Und die Iris, dieses Diaphragma
von verschiedenen Farben, ist aus kleinen Fasern zusammengesetzt. Diese sind
einerseits auf diesem Kreis verankert und werden gegeneinander durch einen
runden Muskel zusammengezogen, der es möglich macht, die Pupille zu öffnen
und zu schließen. So entdeckt unser verliebter Geometer eine gespannte
Oberfläche, die so auf einem Kreis verankert ist, daß sich jeder Punkt ihrer
Fasern in der kleinstmöglichen Entfernung zu den anderen Punkten befindet.
Es gibt keine andere Definition des Kreises und keine andere der
Ebene, denn in den modernsten mathematischen Wissenschaften beschreibt man
jetzt die Ebene durch die Vektorrechnung. Dabei entdeckt man wieder, was ein
Liebender - Euklid - in einem Augenblick herausfand. Das könnte viele Schüler
trösten, wenn man ihnen die Wahrheit sagte.
Nach dieser höchst wichtigen Entdeckung sind wir durch dieses
Fenster, durch das das Licht zu uns kommt, bis zu dem dunklen Zentrum, das
sieht, vorgedrungen. Das ist jene Region des Gehirns, die wir die calcarine
Zone nennen. Und es mag außerordentlich schwer zu glauben sein, steht aber
außer aller Diskussion: Wenn wir diesen Weg von der äußeren Welt bis zum
sehenden Zentrum geduldig verfolgen, stoßen wir in der Anordnung auf alle
Etappen der Entwicklung der mathematischen Wissenschaften.
Einige tausend Jahre hat es gedauert, bis Descartes, der gezweifelt
hat, schlagartig verstand, wie die Netzhaut gemacht ist. Sie wissen, daß die
cartesianische Revolution darin besteht, die Geometrie durch Koordinaten zu
erklären, nämlich durch Geraden, die sich in gewisser Weise auf einem
Schachbrett kreuzen, um die Position jedes Punktes durch das Feld eines
Schachbrettes zu definieren. Nun, Sie können sich die Offenbarung Descartes
selbst durch Erfahrung vermitteln. Drücken Sie an einem Abend oder Morgen in
einem halbdunklen Zimmer, wenn Sie busgeruht sind, leicht mit zwei Fingern auf
ihre geschlossenen Augenlider und wechseln Sie den Druck langsam. Dann werden
Sie in einem bestimmten Augenblick plötzlich sehen, daß Ihr gesamtes
Gesichtsfeld von einer Quadrierung aus winzigen purpurroten Vierecken erfüllt
ist, die - die einen glänzend, die anderen dunkel ganz exakt das Schachbrett
der cartesianischen Koordinaten darstellen, die in der Netzhaut eingeschrieben
sind, lange bevor ein zweifelnder Mathematiker sich die Augen rieb, um
festzustellen, ob er recht gesehen hatte.
Jetzt wissen wir mehr. Seit Descartes sind wir über die Netzhaut
hinausgegangen, und während wir uns in die Nervenzentren vertieften, fanden
wir die Stelle wieder, an der sich die Sehnerven kreuzen. Man entdeckt, was man
im modernen Jargon eine Bijektion nennt. Fahren wir noch weiter fort.
Wenn man zu diesem blinden Zentrum kommt, das die Randfläche ist, mit
der wir betrachten, findet man Projektionen, und wenn man die Art und Weise
untersucht, wie diese außerordentliche Maschine zur Analyse des Bildes
konstruiert ist, findet man Ringe, Musterbilder, gefaserte Zwischenräume,
Matritzen, und ganz genau das Ganze der Teile, die die modernen Algebraisten
geduldig entdecken, und die zu allen Zeiten existiert haben ganz einfach darauf
wartend, daß die Menschen die Art und Weise ihres Konstruiertseins gewahr
würden.
Man hätte die ganze neurologische Maschinerie als Beispiel nehmen
können, die es der menschlichen Intelligenz ermöglicht, sich zu
manifestieren, um zu verstehen, daß sie ganz und gar gegeben und nicht
erworben ist, daß sie wirklich vererblich ist im Sinne einer Weitergabe von
Generation zu Generation.
Als ich von dem dunklen Zentrum, das sieht, sprach, so war das nicht,
um zwei Worte auf für Sie schockierende Weise zu verbinden. Man weiß, daß
wir nicht mit den Augen sehen, sondern mit den Augen des Geistes, die sich
merkwürdigerweise am Hinterkopf befinden. Es ist jetzt nämlich möglich, dort
sehr feine Elektroden anzusetzen und elektrische Impulse hinzusenden, die den
Punkten eines Bildes entsprechen, das nach einem System des Fernsehens
funktioniert. könnte es einem Blinden möglich werden zu sehen, zu sehen wie
wir sehen, Punkt für Punkt, weniger gut zergliedert, aber doch auf die gleiche
Art und Weise.
Dies führt dahin, einen Eindruck zu gewinnen von der
außerordentlichen Kompliziertheit dieser "Maschine", mit der wir begabt sind
und die uns gegeben ist. Ich möchte ganz einfach sagen aus Gnade. Sicherlich
kann man versuchen, die Wirkungen der menschlichen Intelligenz darin zu sehen,
was sie hervorbringt: das Betrachten von Säulen eines Tempels oder der
Schönheit einer Statue belehrt uns vielleicht ebensosehr über die menschliche
Intelligenz wie irgendeine andere menschliche Tätigkeit. Aber trotzdem glaube
ich, daß man sich selbst besser in einem Spiegel sieht. Und der Spiegel, den
wir erfunden haben, der, den wir jetzt besitzen, ist der Spiegel der Maschinen,
die fähig sind, gewisse Funktionen der Intelligenz zu simulieren.
Wie Sie wissen, ist es ein gewisser Blaise Pascal, der die erste
Rechenmaschine erfunden hat. Er war genial genug, um zu bemerken, daß das, was
man zu diesem Zeitpunkt für die höchste Funktion des Geistes hielt, nämlich
das arithmetische Kalkül, eine maschinelle Sache war, die durch Räder und
Leisten simuliert werden kann.
Heutzutage sind die Rechenmaschinen - vielleicht haben einige unter
Ihnen eine tragbare in ihrer Tasche - viel kleiner und viel mächtiger als die
Maschine Pascals, und anscheinend funktionieren sie nicht nach dem gleichen
Prinzip. Pascal hat sich gesagt: Weil man zehn Einheiten zählen müsse, um
eine neue Einheit höherer Ordnung zu erreichen, genüge es, Räder mit zehn
Zähnen zu haben, die am Ende einer ganzen Tour mit einem Zahn das folgende Rad
mitziehen. Dies ermöglichte die vier Rechenarten. Die modernen Maschinen
gleichen viel mehr der menschlichen Intelligenz als diese einfache
arithmetische Maschine. Sie gleichen ihr, weil wir uns gesagt haben, daß es
Gesetze gibt, auf die ein System antworten muß, damit es gewisse Funktionen
der Intelligenz simulieren kann. Merkwürdigerweise sind die Gesetze nicht
zahlreich. Das erste ist, daß ein logisches, vorgegebenes Netz existieren muß
- man möchte in der Sprache der Computer sagen, ein "eingraviertes" Netz. Das
zweite Gesetz ist, daß man eine absolut klare Transmission der Signale von
einem Ort zum andern haben muß. Sagen wir ganz einfach: ohne Gußnaht, ohne
Kurzschluß. Und das dritte ist, daß man an jeder stelle, an jeder Gabelung
des Stromes eine Antwort haben muß: Ja oder Nein. Es muß eine Tür da sein,
die passieren läßt oder nicht. Merkwürdigerweise findet man in dieser Logik,
die man heutzutage in den Schulen lehrt, das, was Alfred de Musset so gut
gesagt hat: "Eine Tür muß entweder offen oder geschlossen sein". Und die
Logik ist da. Auf höherer Ebene findet man - ich meine, das ist ein großer
Trost -, daß der Rat des Evangeliums unerläßlich ist für den guten Gang des
Geistes, nämlich: "Ja, ja - nein, nein".
Es ist nicht möglich, eine Maschine zu konstruieren, die gewisse
Funktionen der Intelligenz simuliert und von Zeit. zu Zeit antwortet:
"Vielleicht ja - vielleicht nein". Und das ist nicht überraschend, denn wenn
die Logik, wie ich glaube, das Gegenteil des Zufalls ist, das heißt ein
Mittel, eine Art von System, das Zufälle ausschaltet, dann ist es
unerläßlich, daß jeder ihrer Schritte absolut frei und sicher ist. "Ja, ja -
nein, nein" ist das einzige Mittel, dahin zu gelangen. Es ist gut, daß selbst
die Konstrukteure der Computer das jetzt entdeckt haben.
Immerhin erhebt die Komplexität des Gehirns eines schlichten Menschen
ihn bei weitem über die außerordentlichste Maschine, die man erfunden hat.
Sie ist beruhigend - solange wir uns mit Maschinen vergleichen und zugleich ein
wenig beeindruckend, wenn wir uns plötzlich Rechenschaft geben über das
Außerordentliche, das uns geschenkt worden ist. Unser Gehirn enthält etwa 11
000 Milliarden Nervenzellen, die ganz großen Computer aber nur einige
Millionen.
Aber das ist ein ungerechter Vergleich, denn in Wirklichkeit ist jede
Nervenzelle imstande, Kontakte mit einer wechselnden Anzahl von anderen Zellen
minimal 100 und maximal 10 000 - auszutauschen. Anders ausgedrückt: Jede
Nervenzelle ist für sich selbst, in sich selbst eine kleine, schon viel
mächtigere Rechenmaschine als die, die wir im Handel kaufen, was zu einer
absolut astronomischen Ziffer anwächst, zum Äquivalent der Bestandteile
unseres Gehirns etwa wie 1014. Das ist eine Zahl, die sich in keiner
Sprache ausdrücken läßt. was die Kabelverbindungen und die Fäden und das
Netz betrifft, die die verschiedenen 11 000 Milliarden von Neuronen unter sich
verbinden, so ist sie von einer äußerst beeindruckenden Länge: Wenn man die
Kabelverbindung aus einem menschlichen Gehirn herauslöste und diese
außerordentlich gespannten Fäden aneinanderreihen würde, wäre die Länge
ungefähr von uns bis zum Mond und zurück!
Und das Alleraußerordentlichste, was gänzlich außerhalb der
Konzeptionen liegt, die wir im Sinne einer klaren Realisation dessen, wovon wir
sprechen, haben können, ist dies: alle Spezifizierungen dieser
außerordentlichen Maschine sind in einer winzigen Zelle enthalten, in einem
befruchteten Ei - und zwar nicht nur ihre Konstruktionspläne, sondern auch die
Pläne, die die Konstruktionspläne erst konstruieren werden! Die ganze
Information, die notwendig und ausreichend ist, um den Menschen zu
"fabrizieren" - nicht nur mit seinen Armen, Peinen und mit seinem Kopf, sondern
auch mit dieser außerordentlichen "Maschine", die selber das Universum
analysieren wird all dieses hat sehr bequem auf der Spitze einer Nadel Platz.
Es genügt, wenn die "Maschine" von der Befruchtung an festsitzt und man ihr
die Mittel zum Überleben gibt, damit sie ihr Ziel erreicht. Lassen Sie sie
leben, sie wird denken - das ist das Schicksal des Menschen!
Die Neokonformisten, die nicht ganz realisieren, wovon sie sprechen,
ähneln ziemlich den Computern oder den Politikern. Beide gleichen sich auf
merkwürdige Weise, die einen der Maschine, die anderen dem Maschinenwesen. Sie
sind von ihrer Fähigkeit zu analysieren völlig eingeschränkt auf das
Programm, von dem sie kommandiert werden. Sie setzen alles aufs Gedächtnis,
verstehen aber wenig und vor allem - verzeihen nichts. Die Maschinen sind
jedoch vom Menschen gemacht, so ist es nicht überraschend, daß wir in den
wunderbarsten unter ihnen eine Art Spiegel vorfinden von der Art und Weise, wie
wir gebildet sind. Deshalb erscheint uns manchmal ihre Macht so furchterregend.
Doch die Menschen selbst sind genau das Gegenteil sie sind ganz und gar eine
Inkarnation der Intelligenz, und deshalb ist jeder von ihnen so kostbar.
Sie werden sich sagen: "Das sind Reflexionen eines Spezialisten, eines
Neurologen, eines Genetikers. Wie kann man sie weitergeben, wie kann man sie
denen verständlich machen, die mit der jetzigen Entwicklung der Technik und
der Wissenschaft nicht vertraut sind?".
Nun, ich glaube, man kann das sehr gut. Man kann es auf dreierlei
Weise. Die eine ist.
das wissenschaftliche Vorgehen, das jedermann verstehen kann; die
andere ist
das künstlerische Vorgehen, das nicht jeder versteht, das aber jeder
fühlen kann. Die dritte ist
die religiöse Offenbarung, die uns zugleich fühlen und verstehen
läßt und die ganz und gar über uns hinausgeht.
Kommen wir zuerst zur Wissenschaft. Ich habe Ihnen gesagt, darf in der
ersten Zelle, die nach dem Eindringen der Samenzelle in die Eizelle entsteht,
also aus dem Verschmelzen der von der Mutter stammenden Hälfte der Erbmasse
mit der anderen Hälfte, die vom Vater stammt, alle Instruktionen, die einen
Menschen ausmachen, vorhanden sind. Aber das ist nicht so, damit ganz allgemein
ein Mensch entsteht, sondern damit dieser Mensch entsteht, der, den wir später
Peter, Paul oder Magdalena nennen - genau dieser und kein anderer. Das ist
möglich, weil die Transmission des Lebens die genaueste „Sprache" verwendet,
die es gibt. Alle Charakteristika, die gänzlich alle und jede Eigenschaft
einer Person definieren werden, sind einem sehr langen Molekül der
Desoxyribonuclein-Säure (DSN) eingeprägt, das, wenn Sie wollen, auch wenn die
Proportionen hier unendlich klein sind, dem Magnetband eines Magnetophons
gleicht. Und ebenso wie das Magnetophon Ihnen die ganze Symphonie wiedergeben
wird, die unter Code-Form durch winzige Veränderung der örtlichen
Magnetisierung auf dem Band eingeschrieben ist, ebenso wird die Zelle, die
diese zahlreichen magnetischen Bänder enthält, die Symphonie des Lebens
wiedergeben.
Aber dies ist eine besondere Symphonie, die von unserem Vater und
unserer Mutter je nur die Hälfte der elterlichen Erbmasse enthält, und zwar
auf eine äußerst komplizierte Weise. Es handelt sich nämlich nicht um eine
Spule, sondern wir haben 44 Spulen, und jeder Elternteil gibt uns die eine oder
die andere seiner 44 Spulen, was bereits eine Anzahl von astronomischen
Kombinationen ausmacht. Wie es möglich ist, daß diese Spulen zerschnitten
sind - so wie man eine Filmmontage macht - und ran einen Teil von der einen und
einen Teil von der anderen erhält, so zeigt man schließlich auf ganz
elementare Weise, daß die Zahl der geometrischen Kombinationen sehr weit,
nein, unendlich weit die unaussprechlichen Zahlen der Menge von Menschen, die
je auf diesem Planeten existiert haben, übertrifft. Man ist also ganz sicher,
daß jeder von ihnen eine einzigartige und absolut unersetzliche Formel
besitzt. Sie hat keine Aussicht, in einer Zeit, die in astronomischen
Dimensionen vorausgesehen werden kann, sich zu wiederholen.
Wenn man gründlichst über diesen molekularen Determinismus
nachforscht, der eine Botschaft durch die Materie weitergibt, bemerkt man, daß
die ganze Biologie, die ganze Theorie der molekularen Strukturen sich ganz kurz
in einem Satz zusammenfassen läßt, den Sie alle (hier etwas umfor-muliert)
kennen: "Im Anfang ist eine Botschaft, diese Botschaft ist im Leben, und diese
Botschaft ist das Leben". Es ist merkwürdig zu sehen, daß das am meisten
deterministische, das am meisten materialistische Vorgehen des Intellektes (im
Sinne der Schritt für Schritt erfolgenden transportierten Information durch
die Materie) sich zusammenfassen läßt in eine einfache Para-phrase des
Johannesevangeliums. Und das ist nicht überraschend. Denn es ist absolut
notwendig, daß es keinen Widerspruch gibt zwischen dem Verifizierbaren, das
wir Wissenschaft nennen, und der Wahrheit, die uns offenbar ist.
Dies erscheint sicherlich etwas abstrakt, und die Genetiker können
verdächtigt werden, eine Art Logos erfinden zu wollen, der die Materie belebt
und verpflichtet, sich in eine Menschennatur zu verwandeln. Doch gerade darum
handelt es sich in Wirklichkeit. Und das ist keine Hypothese, es ist eine
Beobachtung der Erfahrung.
Allerdings ist es notwendig, daß wir auch unsere Zeitgenossen
überzeugen. Und wie können wir das? Was können wir tun, damit sie glauben,
daß dieses winzige Wesen, das im Augenblick der Befruchtung kaum einen
Millimeter mißt, tatsächlich seine eigene Botschaft empfängt, wirklich ein
menschliches, vollkommen einzigartiges Wesen ist - nur mit dem Unterschied,
daß es wunderbar jung ist?
Viele behaupten, die Meinung, ein menschliches Wesen existiere in
einer derart verkleinerten Form - oder, wie die Mathematiker sagen: "auf seinen
einfachsten Ausdruck reduziert" -, sei ein philosophisches Konzept. Man hat zum
Beispiel gesagt, die Abtreibung sei (höchstens) nur ein "metaphysisches" (und
kein physisches) Verbrechen.
O nein, es handelt sich nicht um ein philosophisches Konzept, es ist
im Experiment aufgezeigt. Und wir haben sogar einen Beweis dafür, den
jedermann verstehen kann, ohne Bezugnahme auf die codierten Moleküle und auf
die ganze genetische Maschinerie.
Sie wissen, daß einem englischen Genetiker namens Edwards vor nicht
langer Zeit eine Befruchtung im Glas gelungen ist. Er hat einer Frau eine
Eizelle entnommen, hat sie in ein etwas kompliziertes, aber im biologischen
Sinne ganz einfaches Milieu gesetzt, hat dazu vom Sperma des Gatten gemischt,
und einer Samenzelle ist es gelungen, das Ei zu befruchten. Dieses hat
begonnen, sich aktiv in einer winzigen kleinen Flasche zu teilen und wurde dann
wieder in den Uterus seiner Mutter gepflanzt. Die Journalisten haben das
ausgeschlachtet, haben erklärt, das sei ein "Retortenbaby", was gar nichts
besagt. Das Wichtige, was den Massenmedien entgangen zu sein scheint, liegt
jedoch in der Tatsache, man hatte endlich und beim Menschen erstmals den
formalen und unbestreitbaren Beweis erbracht, daß das Leben eines menschlichen
Wesens schon beider Befruchtung beginnt! Denn wenn dieses winzige Ding, dieser
kleine Embryo, der sich in Zellen geteilt hat, nicht schon ein menschliches
Wesen gewesen wäre, wie hätte dann seine Einpflanzung in den Uterus eine
Schwangerschaft und die Geburt eines glücklichen kleinen Mädchens zur Folge
haben können?
Weit davon entfernt, diese Erfahrung als eine schreckliche Sache
anzusehen, von der wir Katholiken nicht sprechen sollten, sollen wir im
Gegenteil bedenken, daß es das erste Mal ist, daß wir in unserer Spezies
nicht durch philosophisches Denken, sondern nur durch experimentelle
Beobachtung demonstrieren konnten: das menschliche Wesen beginnt - wie alles -
mit seinem Anfang.
Aber sicherlich liegt darin auch eine Gefahr. Die Macht, die wir
besitzen, das Leben eines Menschleins in der Flasche anzufangen, außerhalb des
mütterlichen Schutzes, ist vielleicht eine schreckliche Versuchung. Es ist
möglich, daß es im Gewissen der Bevölkerung den Respekt vermindert, den man
einem beginnenden Leben schuldet. Das ist die Gefahr. Aber diese Gefahr besteht
nicht unter der Bedingung, daß die Wissenschaft niemals das Ganze der
Konklusionen vergesse, das sie da unter den Händen hat, nämlich die formelle
Gewißheit, daß dieses kleine Wesen bereits ein ganz einzigartiges Glied
unserer Art ist und wunderbar jung, jünger als alle anderen.
Die zweite Stufe, die wir benutzen können, ist die der Kunst. Die
Künstler wissen darüber mehr als die Gelehrten und gebrauchen nicht nur die
Gehirnrinde, diese Logik-Maschinerie, deren Komplexität ich Ihnen zu zeigen
versuchte, sondern auch einen anderen Teil unseres Wesens, den man mit einem
Gattungsnamen "das Herz" nennt. Lassen wir uns einmal zeigen, was Goethe in
seinem Faust" sagen kann. Der erste Teil ist eine "Abtreibung" der Liebe: Faust
will seinen Sohn von Margarethe nicht annehmen, Verdammnis ist sein Weg. Der
zweite Teil zeigt die "Zerstörung" der Liebe: Faust hat eine
modernistisch-materialistische Gesellschaft fabriziert. Es gibt kein Geheimnis
Gottes mehr. Nur in einer kleinen Kapelle und in einem kleinen Haus leben still
zwei alte Liebende: Philemon und Baucis. Die letzte Tat von Faust ist es,
diesen letzten Ausdruck von Liebe zu zerstören. Um einen neuen Kanal zu
vergrößern, läßt er - durch Mephisto - Philemon und Baucis in ihrem kleinen
Haus töten und verbrennen. Doch jetzt stirbt auch Faust ...
Um zu verstehen, wie wir uns dieses frühere Leben, diese Existenz
während der ersten Monate unseres Lebens im Mutterleib, an die wir uns nicht
mehr erinnern, vorstellen sollen, können wir aber auch zu den Musikern gehen.
Und um Ihner, eine Idee davon zu vermitteln, schlage ich einen kleinen Ausflug
vor.
Wir gehen in eine Diskothek, steigen die Treppen hinunter und kommen
in einen gewölbten, dunklen, fast schwarzen Schutzraum. Nur rötliche Schimmer
erlauben zu unterscheiden, was sich im Innern abspielt. Die Atmosphäre ist
heiß, feucht, es herrscht ein starker Geruch, und man sieht Körper, die sich
langsam bewegen und sich dann wieder schnell drehen. Es ist ein lauter Lärm,
der spie Rhythmus der Maracas, der die Köpfe der Menschen, die hier sind,
erzittern läßt, und dann das dumpfe und schwere Schlagen des Kontrabasses,
das ihren Brustkasten bei jedem Schlag zum Beben bringt. Und die Leute, die
hier in dieser Atmosphäre sind und tanzen, scheinen dies zu lieben. Warum?
Weil sie sich an all das erinnern, durch das sie in frühester, dunkler
Existenz hindurchgegangen sind, an die der Intellekt keine wache Erinnerung
mehr hat. All das aber ist in dieser Atmosphäre, als ob sie es wieder neu
erleben möchten, ganz genau dargestellt. Ehemals, als sie ganz klein waren,
nicht größer als der Daumen - die Geschichte vom Däumling ist immer wahr -,
als sie im Mutterschoß nicht größer waren als der Daumen, da war ja auch ein
gewölbter Schutz mit nur wenig rötlichem Licht, auch mit einem starken
Geruch, einer feuchten Atmosphäre, wo ihr Körper sich bewegte und ihr Kopf in
einem spitzen, schnellen Rhythmus vibrierte, demjenigen ihres eigenen Herzens,
das 140 bis 150 mal schlug, dem Rhythmus des Maracas - und so auch ihr
Brustkasten sich verengte und erweiterte unter einem anderen, langsameren,
stärkeren, mächtigeren Rhythmus, den Schlägen des mütterlichen Herzens,
ungefähr 65 in der Minute - das ist der gewöhnliche Rhythmus eines
Kontrabasses. Es ist kein Zufall, daß die Spezialisten der Popmusik diese
Atmosphäre wieder entdeckt und neu geschaffen haben, die mit etwas
korrespondiert, was sie vergessen haben, wovon aber ihr Herz wahrscheinlich
eine Erinnerung bewahrt hat.
Und dann bleibt uns noch die höchste Weise, die, die uns der
berühmteste aller Ärzte, der heilige Lukas, gelehrt hat. Er hat alles in so
wenigen Worten gesagt, daß ich mich schäme bei dem Versuch, sie zu vermehren.
Aber ich will es trotzdem versuchen. Bei der Heimsuchung zitierte der kleine
Prophet im Schoße der Elisabeth, als er die Gegenwart seines Erlösers
wahrnahm, den Maria trug. Zu dieser Zeit war Elisabeth ganz genau sechs Monate
schwanger - der heilige Lukas hat dieses Detail wohl vermerkt -, und dieses
Zittern des kleinen Propheten ist vielleicht die schönste Beschrei-bung dieser
außerordentlichen Intelligenz des menschlichen Fötus.
Aber noch viel merkwürdiger ist, daß die menschliche Gestalt unseres
Herrn zu diesem Zeitpunkt außerordentlich jung war. Der heilige Lukas sagt
darüber nichts. Er sagt einfach, daß nach der Verkündigung "Maria
festinavit" (eilte). Die menschliche Gestalt unseres Erlösers mußte
unglaublich jung sein, als sie zum erstenmal von einem kleinen Propheten
erkannt wurde. Vielleicht sind wir Erwachsenen nicht so begabt wie ein "kleiner
Prophet", aber mit der Wissenschaft können wir die menschliche Gestalt -
selbst wenn sie unglaublich jung ist - erkennen. Lukas hat dies in so wenigen
Worten erklärt, daß ich nichts hinzufügen kann.
Diese Geschichte, die wahrscheinlich, nein, die sogar sicherlich die
schönste und rührendste der Welt ist, lehrt uns - um auf das zurückzukommen,
was ich bezüglich der "Maschine" gesagt habe -, daß unsere Neokonfor-misten
die andere Seite dieser wunderbaren Gabe, die wir empfangen, wenn wir auf die
Welt kommen, vergessen: nämlich, daß unsere Intelligenz nicht nur eine
abstrafe Maschine ist, sondern daß sie auch Fleisch geworden ist, und daß das
Herz ebensoviel ist wie die Vernunft, oder genauer, daß die Vernunft nichts
ist ohne das Herz.
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